Erhält ein zuständiges Gericht in einem Mitgliedstaat Kenntnis von einem Verfahren zu demselben Gegenstand in Bezug auf die Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter, das vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, so nimmt es mit diesem Gericht Kontakt auf, um sich zu vergewissern, dass ein solches Verfahren existiert.
Ist ein Verfahren zu demselben Gegenstand in Bezug auf die Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter vor einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat anhängig, so kann jedes später angerufene zuständige Gericht das bei ihm anhängige Verfahren aussetzen.
Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Klagen zuständig ist und die Verbindung der Klagen nach seinem Recht zulässig ist.
Art. 81 DSGVO stellt Verfahrensvorschriften für die Zusammenarbeit der Instanzgerichte der einzelnen Mitgliedstaaten im Falle von parallel laufenden Verfahren mit demselben Verfahrensgegenstand auf, welche den nationalen Prozessvorschriften vorgehen.
Abs. 1 befasst sich mit der Pflicht zur Kontaktaufnahme. Danach muss das Gericht, welches mit der Streitsache befasst ist, bei Kenntnis eines Parallelverfahrens mit demselben Gegenstand in Bezug auf eine Verarbeitung durch denselben Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter mit dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats, bei dem diese Streitsache anhängig ist, Kontakt aufnehmen. Der 144. Erwägungsgrund stellt zwar allein auf Verfahren gegen Entscheidungen einer Aufsichtsbehörde ab, jedoch wird ebenfalls der Begriff des verwandten Verfahrens verwendet. Darüber hinaus enthält der Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 DSGVO keine Einschränkung hinsichtlich des Verfahrens. Daher sind auch Verfahren wie das nach Art. 79 DSGVO hiervon umfasst. Anforderungen an die Kenntniserlangung, wie eine Erkundigungspflicht bei anderen Gerichten, bleiben jedoch offen, sodass von einer Zufallserkenntnis auszugehen ist. Da in der Praxis Zufallserkenntnisse weitgehend ausbleiben dürften und die Gerichte keine grenzüberschreitende Aufklärung des Falles durchführen werden, wären für die erwünschte Verfahrenssicherheit die Voraussetzungen für die Kenntniserlangung gesetzgeberisch nachzubessern. Bei Parallellverfahren innerhalb eines Mitgliedstaats wäre, aufgrund des klaren Wortlauts des Art. 81 DSGVO, allein nach nationalem Prozessrecht zu verfahren.
Die Aussetzungsmöglichkeit in Abs. 2 knüpft unmittelbar an die Voraussetzungen des Abs. 1 an. Danach kann ein Gericht das anhängige Verfahren aussetzen, wenn es positive Kenntnis davon hat, dass ein Parallelverfahren gem. Abs. 1 bei einem ausländischen Gericht läuft. Dabei muss es sich der Sache jedoch später angenommen haben als das ausländische Gericht. Da die Entscheidung über eine Aussetzung allein beim Gericht liegt, spielt für dessen Entscheidungsermessen hauptsächlich der Wille der Prozessbeteiligten eine Rolle. Wenn die Parteien ausdrücklich eine Aussetzung wünschen, steht einer Aussetzung nichts im Wege. Wenn jedoch eine oder mehrere Parteien ausdrücklich gegen eine Aussetzung sind, müssen die betroffenen Rechte der Beteiligten gegen die Prozessökonomie abgewogen werden, wobei in der Regel die Rechte der Parteien die Prozessökonomie überwiegen werden. Die Prozessökonomie verlangt, dass bei mehreren Verfahrensmöglichkeiten diejenige ausgewählt wird, mit der das Verfahrensziel am effizientesten erreicht werden kann. Ein aussetzendes Gericht ist inhaltlich jedoch nicht an die Entscheidung des anderen Gerichts gebunden, sondern kann das Parallelverfahren abwarten, um einen möglichen Widerspruch zweier Entscheidungen zu vermeiden. Anstatt zuerst die Entscheidung eines anderen Gerichts abzuwarten, wäre es jedoch zielführender, direkt den EuGH über Art. 267 AEUV mit der Sache zu befassen, um das Verfahren zu beschleunigen. Bei Vorlagefragen des anderen Gerichts an den EuGH kann eine Aussetzung des Verfahrens allerdings im Hinblick auf die Prozessökonomie sinnvoll sein und ausnahmsweise die Rechte der Parteien überwiegen, um eine letztverbindliche Klärung des EuGH abzuwarten.
Abs. 3 regelt die Erklärung der Unzuständigkeit eines Gerichts. Dafür müssen zunächst die beiden Parallelverfahren in erster Instanz anhängig sein. In erster Instanz sind nach dem deutschen Verwaltungsrecht in der Regel die Verwaltungsgerichte zuständig. Des Weiteren muss zumindest eine Prozesspartei die Unzuständigkeit für das später angerufene Gericht beantragen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass das zuerst angerufene Gericht auch für die Entscheidung des Falls des später angerufenen Gerichts zuständig ist und nach dem nationalen Prozessrecht eine Verbindung der beiden Verfahren zulässig ist. Es obliegt dabei den nationalen Gesetzgebern, die Prozessordnung dahingehend auszugestalten, dass eine solche Verbindung zulässig ist.
Die Zusammenarbeit der Gerichte in den verschiedenen Mitgliedsstaaten wird erstmals durch diesen Artikel geregelt und stellt eine komplette Neuerung im Datenschutzrecht dar.
Art. 81 DSGVO soll für eine einheitliche Rechtsprechung sowie eine homogene Rechtsanwendung in den unteren Instanzen und den einzelnen Mitgliedstaaten sorgen. Ob diese Ziele auch erreicht werden, ist fraglich, da eine Fehlinterpretation des Unionsrechts dadurch nicht ausgeschlossen wird und eine letztverbindliche Auslegung und somit einheitliche Rechtsprechung nur durch den EuGH erfolgen kann. Problematisch könnte auch das Verhältnis zur Zusammenarbeitspflicht der Gerichte und zum Grundsatz auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 Abs. 1 GRCh) sowie zum Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 47 Abs. 2 GRCh) sein. Ein Handlungsbedarf für Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter ergibt sich hieraus jedoch nicht.
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